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"Literarische Geschlechtsumwandlung"

Frauen kaufen zwei Drittel aller Bücher, in den Medien oder Feuilletonkritiken werden männliche Autoren bevorzugt, und Literaturagenturen reagieren eher auf Zuschriften männlicher Autoren. In den Verlagen entscheiden oft Frauen über die Programme, männliche Geschäftsführer über das Geld. Nun entdeckte die Autorin Catherine Nichols, dass ihre Texte achtmal mehr gewertschätzt wurden, als sie sich ein Andronym zulegte: George.
Der Sexismus in der Buchbranche hat viele Gesichter, sagt Fairer-Buchmarkt-Gastautorin Gudrun Lerchbaum.

Mehrfach wurde auf Facebook dieser Artikel geteilt. Die Autorin Catherine Nichols erzählt hier, wie sie eine Schreibblockade überwand, indem sie Agenten ein Projekt unter männlichem Pseudonym anbot. Dasselbe Manuskript war zuvor unter ihrem richtigen Namen vielfach abgelehnt worden, zumeist mit der Begründung, es sei zwar schön geschrieben, aber die Protagonistin agiere nicht beherzt genug. Eine Kritik, die Nichols an ihren Fähigkeiten zweifeln ließ und die besagte Schreibblockade auslöste. Nun, da sie sich von Catherine in George verwandelt hatte, erschien den Adressaten der Text mit einem Mal klug, gut konstruiert und aufregend und wurde mehrfach angefordert.

George sei Dank
Redlich bis zur Selbstaufgabe zieht Nichols aus dieser Entwicklung keine Vorteile bis auf einen: Sie korrigiert ihre Selbsteinschätzung, bezieht das Lob, das Georges Text einbringt auf sich und überwindet dadurch ihre künstlerische Krise. Nun ist es ja nichts Neues, dass Männer auch und gerade im kreativen Bereich anders und leider allgemein besser beurteilt werden als Frauen. Das mag daran liegen, dass sie tatsächlich in der Minderzahl sind. Überrascht über diese Diagnose? Männer sind natürlich nicht unter den Erfolgreichen, sondern unter den Schaffenden in der Minderzahl. Wieviel mehr Frauen als Männer malen oder schreiben oder - ja! - kochen ihr ganzes Leben lang? Was als Hobby freundlich betrachtet und gern auf eine Ebene mit dem Häkeln dekorativer Topflappen gestellt wird, ist in meinen Augen ebenso oft unerkannte Kunst wie nicht. Ein Mann hingegen, der sich nach einem harten Arbeitstag oder gar exklusiv unter heroischer Negation wirtschaftlicher Notwendigkeiten der Kunst widmet, muss ernst genommen werden. Er opfert schließlich wertvolle Freizeit oder gar eine Karriere. Das täte er wohl kaum, wenn es die Sache nicht wert wäre.

Latenter Sexismus
Schreit nur auf! Mir ist natürlich klar, dass meine Darstellung vereinfachend ist. Dennoch existiert dieser latente Sexismus. Nicht nur bei Männern. Auch Frauen beurteilen die Errungenschaften ihrer Geschlechtsgenossinnen oft weniger wohlwollend. Wir haben das einfach zu lange gelernt. Männer werden noch immer oft bewundert, wenn sie sich überwiegend um ihre Kinder kümmern. Auch hier opfern sie ja etwas angeblich Wichtigeres, während Frauen nur ihre althergebrachte Pflicht erfüllen. Und genau so wird auch in der Literatur mit zweierlei Maß gemessen. Die sensible und lebensnahe Darstellung einer weiblichen Protagonistin durch einen männlichen Autor bringt ihm Literaturpreise ein, während es sich bei einer Frau von selbst versteht, dass sie in der Lage ist, sowohl Männer als auch Frauen in ihrer Gefühlswelt überzeugend darzustellen. Schließlich sind Frauen seit jeher für Emotionen zuständig.

Das Andronym: Subversiv oder Resignativ?
Aber was mache ich mit diesen Erkenntnissen? Lege ich mir ein männliches Pseudonym zu, wie es andere erfolgreich vorgemacht haben? Die großartige Krimiautorin Fred Vargas ist hier nur ein Beispiel. Wäre eine falsche männliche Identität eine subversive Handlung - vorausgesetzt man klärt die Sache im Erfolgsfall auf - oder ein Akt totaler Resignation gegenüber den herrschenden Verhältnissen? Gar Verrat am eigenen Geschlecht? Was, wenn nun alle Autorinnen plötzlich unter männlichem Pseudonym publizieren? Würde sich da nicht endlich die wahre Qualität der Bücher erweisen? Edler wäre natürlich eine Solidaritätsaktion der männlichen Kollegen. Andreas zu Andrea, Tom zu Tanja usw. Aber da wird die Angst vor Entmannung davor sein. Dabei könnt ihr euren Penis wirklich gerne behalten, der gefällt uns an euch! Wir wünschen uns nur dieselbe Wertschätzung. Kann natürlich auch sein, dass das alles nur Zufall ist und ich gerade überempfindlich reagiere, weil bald die Regel kommt. (Achtung, ihr Ahnungslosen! Sexistische Falle!) Ziemlich sicher allerdings wird es schon morgen einen Test auf Facebook geben, der mir nach meinem indianischen, keltischen oder intergalaktischen Namen auch den verraten wird, den ich als erfolgreicher Autor trüge.

Dieser Artikel ist ursprünglich erschienen am 6.8.2015 auf: gudrunlerchbaum.wordpress.com
Fairer Buchmarkt bedankt sich für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.

DOSSIER


Der THE GUARDIAN über Catherine Nichols und verstecktem Sexismus in der Buchbranche

„Frauen zählen“: Die Initiative VIDA engagiert sich für die Rechte und den Respekt von Autorinnen in der Buchbranche. Seit sechs Jahren zählt und analyisiert die Initiative z.B. Anzahl der Veröffentlichungen, Kritiken oder Häufigkeit der medialen Erwähnung oder Berichterstattung nach Frauen/Männer und Genres.

Die FAZ: „George“ war achteinhalbmal beliebter als Catherine

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    Ein DIE WELT-Kommentar.

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