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"Jetzt gehe ich ein bisschen weinen."

Jeder hunderste Käufer eines Produktes schreibt eine Rezension. Doch mehr als bei Pfannen oder Gummibooten sind Lob und Tadel von Lesenden mitentscheidend für den Buchverkauf. Welche Auswirkungen positive wie negative Rezensionen außerdem auf Autorinnen und Autoren haben, beschreibt Schriftstellerin Micaela Jary in ihrem Gastbeitrag für Fairer Buchmarkt.

Es überrascht mich immer wieder, gerade von Buchmenschen zu hören, dass sogar diese keine Vorstellung davon haben, wie sehr Autoren ihre eigenen Bücher lieben. Unsere Romane sind aber nun einmal unsere Geschichten - auch wenn sie keine Lebensbeichten sind, so fließen sie doch aus unserem Kopf und unserem Herzen, die Figuren werden zu unsichtbaren Familienmitgliedern. Als ich vorhin den ersten wundervollen Kommentar einer Buchhändlerin zu meinem neuen Roman "Wie ein fernes Lied" in einer Privatnachricht bei Facebook las, war ich nicht nur sehr gerührt, sondern schrieb zurück: „Jetzt gehe ich ein bisschen weinen ...!"
Und ihre Antwort lautete: „Mir ist immer gar nicht bewusst, was wir Leser für eine Macht über Euch Autoren haben! Ich hab mich richtig erschrocken, als ich Deine kurze Nachricht las. Aber natürlich auch sehr drüber gefreut!"

Rezensionen sind ein wichtiges Marketinginstrument im Buchhandel, ja, eigentlich inzwischen in allen Branchen. Jeder engagiert eher den Schlosser mit der positivsten Bewertung als einen, über den öffentlich gesagt wird, er leiste keine gute Arbeit. Man bucht lieber das Hotel, das tatsächlich Sauberkeit und Komfort bietet als das, in dem Gäste Schmutz im Badezimmer vorfanden. Natürlich wissen erfahrene Internet-User, dass Likes und Kritiken oftmals auch ein wenig geschönt sind - oder eben das Gegenteil vom neidischen Konkurrenten online gestellt wird. Das betrifft in besonderem Maße wohl das Hotel- und Gaststättengewerbe, leider häufen sich aber auch Kommentare, dass „bezahlte Rezensionen“ zum Alltag von Schriftstellern gehören. 

Für mich kann ich laut und deutlich verkünden: NEVER EVER! Das liegt schon allein daran, dass meine Verlage kein Budget für die Bezahlungen von Rezensionen haben und ich das Geld auch nicht ausgeben will (kann). Die Zeiten, in denen jeder Buchblogger über jedes von einem Verlag oder Autor eingereichte Buch ein paar positive Zeilen schrieb, sind mit dem Wachstum und der steigenden Wertigkeit der Szene auch vorbei. Es mag Bereiche in unserer Branche geben, wo Autoren tatsächlich für Rezensionen bezahlen, aber ich spreche nicht nur für mich, sondern für die meisten - wahrscheinlich alle - Kolleginnen und Kollegen, die in Publikumsverlagen veröffentlichen: Wir verdienen uns unsere guten Rezensionen durch unsere Arbeit - nicht mehr und nicht weniger. 

Konstruktive Kritik stört niemanden – aber die Trolle, die ihren Lebens-Frust in die Tastatur kippen
Nun bekommt und verdient nicht jeder Roman nur positive Rezensionen. Wir haben alle mal schlechte Tage, schreiben alle auch mal ein weniger gutes Buch. Wir sind keine Schreib-Maschinen, sondern Roman-Autoren. Konstruktive Kritik stört niemanden. Sie mag an mancher Stelle schmerzen, aber nach der ersten Schrecksekunde sieht der erwachsene Mensch meist ein, dass sie durchaus berechtigt sein kann. Das Einsehen macht die Situation nicht besser, denn darauf folgt ja "hätte ich doch" oder "warum habe ich das nicht anders gemacht?".

Konstruktive Kritik stört niemanden –
aber die Trolle, die ihren Lebens-Frust in die Tastatur kippen . Micaela Jary

Als Autor kommt man ins Grübeln, verzagt auch ein bisschen. Irgendwann versucht man, es besser zu machen. Und wenn das gelingt und sich diese Kritik beim nächsten oder übernächsten Buch nicht wiederholt, haben letztlich beide Seiten einen Gewinn aus der besagten Kritik gezogen.

Was jedoch gar nicht geht, sind Angriffe auf die Person des Autors und unflätige Verrisse. Trolle oder LeserInnen, die ihren Frust auf andere Leute oder was auch immer, anonym via Internet loslassen, sind ein Ärgernis. Menschlich und auch inhaltlich. Wer seinen Müll irgendwo abladen muss, sollte mal bei sich selbst anfangen, und nicht Autoren beleidigen, die oft bis zu zwei Jahre an ihrem Werk sitzen, arbeiten und am Ende im Durchschnitt 6 % von dem Ladenverkaufspreis eines Taschenbuchs pro verkauftem Buch verdienen. Klar, jeder ist seines Glückes Schmied, jeder kann sich einen anderen Job suchen, der ihm besser gefällt. Aber als höflicher, wohlerzogener Mensch greife ich den Schlosser nicht persönlich an - selbst dann nicht, wenn er schlechte Arbeit leistet. Öffentliche Beleidigungen sollten nicht zum Repertoire anständiger Menschen gehören!

PS: Die oben zitierte Buchhändlerin schrieb mir: „Ich habe Dein Buch soeben ausgefressen. Es hat mir unglaublich gut gefallen. Die Geschichte ist grandios!

Foto Micaela Jary © Rossigraphie

Der Beitrag erschien zuerst am 7.8.2015 auf dem Blog der Autorinnen-Homepage von Micaela Jary.
www.micaelajary.de