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Wie bitte, Sie wollen Lesungshonorar? Aber das ist doch Werbung für Sie!

Autorin Helga Bürster über die Sache mit der honorarfreien Werbung, Tupperdosen-Survival und anderen erlesenen Feinheiten bei der Lesungs-Aquise.

Schade, dass Werbung nicht satt macht. Außer, man steht auf Kuchen. Leider bin ich eher ein Fan herzhafter Nahrung, aber als Autorin der Ebene darf man nicht mäkelig sein. Wenn es um die Honorierung künstlerischer Arbeit geht, herrscht schließlich purer Feudalismus. Kurz zu mir: Ich habe mittlerweile einen Stapel Bücher, diverse Theaterstücke und Hörspiele geschrieben. Der große Wurf ist mir bisher nicht gelungen, soll heißen, mich kennt kein Schwein. Ich erfreue mich eher an den kleinen Dingen des Autorenlebens, z.B. über frisch gedruckte Belegexemplare, denn die gibt es umsonst. Sie sollen ja der Werbung dienen. Leider währt die Freude nur kurz, denn danach beginnen die Mühen der Ebene. Wie alle Autoren möchte ich der Welt mein neues Baby zeigen. Und, tut mir leid, vielleicht auch ein bisschen Geld verdienen. Also begebe ich mich auf Lesungsaquise. Der eine oder andere Veranstalter beißt sogar an. Wenn ich dann mein Honorar zur Sprache bringe, höre ich in schöner Regelmäßigkeit diesen Satz: „Aber das ist doch auch Werbung für Sie!“

Tun Sie doch mal was für die Region!
Zuletzt hat eine engagierte VHS-Mitarbeiterin mich damit beglückt. Als ich protestierte, antwortete sie mir folgendermaßen:
„Sie sind ein Kostenfaktor, liebe Frau Bürster. Sie kommen doch von hier. Tun Sie mal was für die Region.“
Woraufhin ich einen Sockenstrickkursus buchte. Als sie nach meiner Kontonummer fragte, antwortete ich: „Tun Sie doch mal was gegen meine kalten Füße!“
Letztendlich lernte ich dann weder Sockenstricken, noch tat ich etwas für die Region. Die VHS allerdings buchte statt meiner einen namhaften Autor. Ich kann mir kaum vorstellen, dass der berühmte Kollege aus Liebe zur Region las. Wissen kann ich es nicht.

Mit der Region versucht man mich übrigens öfter zu erpressen. So saß ich irgendwann an meinem Schreibtisch und hypnotisierte das Telefon in der Hoffnung, jemand riefe an, um mich für eine Lesung zu buchen, denn ich war mal wieder vollkommen pleite. Es klingelte tatsächlich. Mit zittrigen Fingern nahm ich ab und es entspann sich folgendes Gespräch:

A. Hallo Frau Bürster! Ich habe schon so viel Gutes von Ihnen gehört.
B: Das freut mich.
A: Ich rufe an, weil ich jemanden aus der Region suche, der gut lesen kann. Das können Sie doch?
B: Schon seit der zweiten Klasse.
A: Schön. Ich bin nämlich Verleger und betreibe einen Online-Hörbuchverlag.
B: Aha?
A: Ich plane ein Projekt, in dem die Geschäfte und Gastronomen der Region mit allen Sinnen vorgestellt werden. Lacht. Man muss der Region ja ein bisschen auf die Beine helfen, nicht wahr?
B: Kann sein.
A: Können Sie sich vorstellen, die Texte zu schreiben und auch einzulesen?
B: Wenn wir uns über das Honorar einig werden ...
A: peinliche Stille ..... dauert an ..... Reizhusten ... Sie wollen bezahlt werden?
B: Sie nicht?
A: Das Projekt steckt in der Planungsphase. Ich mache das auch alles ehrenamtlich.
B: Das ehrt Sie, aber warum sollte ich Werbung für Gastronomen und Geschäfte umsonst machen?
B. Also bitte! Tun Sie mal was für die Region! Ist doch auch Werbung für Sie!

Ich muss gestehen, dass ich mich aus lauter Verzweiflung und auf sanften Druck von Seiten meiner Verlage das eine oder andere Mal habe rumkriegen lassen. In der Lokalzeitung standen anschließend Artikel mit so schönen Überschriften wie: Bürster las vor. Hat werbemäßig auch super eingeschlagen. Von der Rheumaliga bis zum Kaninchenzüchterverein wollten mich jetzt alle haben. Statt Geld bot man mir Kaffee und Kuchen satt als Bezahlung an. Hin und wieder Fahrtgeld, in seltenen Fällen ein bescheidenes Honorar.

Statt Honorar gedeckter Blechkuchen
Bei der Weihnachtsfeier eines irgendwie sozial engagierten Frauenvereins in Köterende (den Ort gibt es tatsächlich) hatte ich überdies das Vergnügen einer medizinischen Weiterbildung. Man hatte das Unterhaltungsprogramm, also mich, zwischen die beiden Vorstandsdamen platziert. Während ich an einem Stück gedeckten Apfelkuchens mit drei Zentimeter Zuckerguss obendrauf nagte, sprachen die beiden Vorständlerinnen über meinen Teller hinweg von ihren jeweiligen Krampfadernoperationen. Als das abgehandelt war, durfte Bürster vorlesen. Die Presse machte ein Foto

Eine zeitlang fraß ich mich so von Feier zu Feier. Damit meine Kinder und mein Mann auch satt wurden, hatte ich immer mehrere Tupperdosen dabei, die ich heimlich unter dem Tisch füllte. Das klappte nicht immer. Es gibt auch Veranstalter, die verweigern das Glas Wasser, oder sie schicken, wie bei einer Schullesung passiert, einen Schüler mit einem Tuschebecher ins Klo zum Wasserholen.

Besonders geschickt hatte mich eine Cafébesitzerin für eine Matiné geködert. Sie schlug vor, einen Spendentopf rumgehen zu lassen, damit habe sie gute Erfahrungen gemacht, es komme da Einiges zusammen, denn die Lesungen seien gut besucht und beliebt in der Region. Spätestens da hätten meine Alarmglocken schrillen müssen, aber einer meiner Verlage meinte mal wieder, ich müsse mehr lesen. Also nahm ich an, packte die Tupperdosen ein (es gab Kuchen frei) und fuhr hin. Zu meiner Freude füllten die Zuhörer den Spendenbeutel großzügig, bevor sie auch nur einen Ton von mir gehört hatten. Die Lesung war gut, ich verkaufte einige Bücher, dann reichte die Inhaberin den Beutel noch einmal herum mit den Worten. „Und nun noch eine Spende für die Künstlerin.“ Da erst begriff ich, dass der erste Spendenaufruf ihr selbst gegolten hatte. Mein Honorar betrug ganze Siebeneurofünfunddreißigcent. Als ich meinem Ärger Luft gemacht hatte, sagte sie den Satz mit der Werbung. Und das ich beim Buchverkauf ja wohl genug verdient hätte. Zehn Bücher, das seien fast hundert Euro, für eineinhalb Stunden! Und Kuchen satt. Von einem solchen Stundenlohn könne sie nur träumen. - In solchen Momenten wünsche ich mir, ich hätte auf meine Mutter gehört und wäre Bäckereifachverkäuferin geworden.

Und wieso lesen Sie denn nich das ganze Buch vor? Ich hab schließlich bezahlt!
Auch das Publikum glaubt meist nicht, dass Autoren Menschen mit Grundbedürfnissen sind. Ich möchte mich dann hinstellen und inbrünstig ausrufen: Frieren wir nicht, wenn es kalt ist? Bluten wir nicht wenn man uns verletzt? usw. Stattdessen rechtfertige ich mich.
Eine Zuhörerin beschwerte sich zum Beispiel nach einer Krimilesung darüber, dass ich das Ende nicht verraten hätte und sie damit gezwungen sei, mein Buch zu erwerben. Sie verglich die Lesung mit einer Kaffeefahrt, bei der es nur darum gehe, Ware zu verkaufen. Dass ich weder Wolldecken noch Vitaminpillen im Angebot hatte, ließ sie als Argument nicht gelten. Ich riss mich zusammen und erklärte geduldig, dass diejenigen, die das Buch gekauft hatten, das Ende möglicherweise selbst lesen wollten. Sie habe Eintritt bezahlt, konterte die Dame, und somit ein Recht auf den Täter.

Seit dieser Sache bleibe ich standhaft. Ich verschenke meine Arbeit nur noch selten und dann für einen guten Zweck, denn ich will wenigstens ein Schmerzensgeld. Und Kuchen kann ich nicht mehr sehen. Meine Werbungsabstinenz führt dazu, dass ich aktuell viel Zeit zum Schreiben habe. Bis zur nächsten feudalen Kaffeefahrt.

 


LESUNGEN & HONORAR


Der Verband Deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller VS in ver.di empfiehlt als Mindesthonorar für eine Einzellesung mit anschließender Diskussion 300,00 Euro zzgl. 7 (bei theatralischer Lesung) bzw. 19 % USt.
Leider lesen, laut einer Umfrage des Syndikats/Daniel Carinsson, Autoren für im Schnitt 155 Euro, da kaum ein regulärer Veranstalter bereit ist, wenigstens den VS-Satz zu entrichten.
Der Autor Tom Wolf hat eine „Honorar-Staffelung“ aufgestellt, sie richtet sich u.a. nach Größe der Stadt, Etat des Veranstalters und Programmdauer. Sie beginnt bei 200 Euro und endet bei 400 Euro: tom-wolf.jimdo.com/honorar-für-lesung/
Nur Bibliotheken und Schulen sind von Ust.-Zahlungen befreit. Bibliotheken und Schulen erhalten oft von den Kommunen einen Teat für kulturelle Veranstaltungen. Klein, aber vorhanden.
Branchenüblich sind außerdem der Ausgleich von Anreise/Abreisekosten (in Höhe der DB 2. Klasse) sowie im Anreisefall von über 300 Kilometern und eine Abendveranstaltung eine Übernachtung. In den häufigsten Fällen zahlen Veranstalter keine Übernachtung, und als Anreise wird schon mal die Mitfahrzentrale empfohlen.
Lesungen dauern zumeist 90 Minuten, sie entsprechen damit in Vorbeiretung und Darbietung dem Aufwand für Kleinkabarett. Zuzüglich Anreise und Abreise und Vorbereitung liegt die Arbeit bei einem bis zwei Tagessätzen. BestsellerautorInnen werden häufig angefragt, wenige fordern und erhalten zwischen 500 bis 1000 Euro Lesungshonorar. Viele berichteten uns aber von dem Effekt, dass ihnen als Argument für eine Gratis-Lesung gesagt würde, sie könnten es sich doch jetzt a) leisten und b) sollten den Buchhandel unterstützen oder c) jeglichen Veranstalter, der ja seinen Etat leider klein halten muss.

Das Argument „Das ist doch Werbung für Sie“ ist aus folgenden Gründen ein Wind-Ei:
Auch ein Zahnarzt setzt keine Krone umsonst ein, weil ihre Brillanz doch Werbung für ihn sei. Es ist Arbeit. Genauso ist eine Lesung vorzubereiten und zu halten eine Leistung, die aus künstlerischer wie handwerklicher Arbeit besteht. Sie dient in erster Linie der Unterhaltung des Publikums oder der Imagebildung des Buchhändlers oder der Auslastung eines Veranstaltungsortes sowie dem Kulturauftrag einer Bibliothek. Erst in zweiter Linie kann sie einen Buchverkauf unterstützen – aber auch da müssen sich Aufwand und tatsächlich messbarer Effekt die Balance halten: Ein monetär akzaptabler Effekt hieße, einen Umsatz zu generieren, der den Aufwand nicht nur deckt, sondern bei weitem übersteigt – also Anreise, Tagessatz und Übernachtung, rund 500 Euro Einsatz. AutorInnen erhalten zwischen 5-9 % bei Taschenbüchern, 9 -13 % bei Harcovern, vom Nettoladenpreis. Im Schnitt werden bei Lesungen Bücher von rund 10 bis 15 % der Gäste gekauft. In eine Buchhandlung passen selten mehr als 80 Gäste. Bei acht bis 20 verkauften Büchern kommen beim AutorIn zwischen 6 Euro bis 25 Euro an. Vor Steuern. Und das in etwa einem halben Jahr, wenn die Tantiemen ausgezahlt werden. Für 300 Euro Tantiemen müssten entsprechend zwischen 300 bis 500 Bücher an dem Abend verkauft werden. Das gelang zuletzt Stephen King in der Congresshalle in Hamburg, nach dem er vor 4500 Gästen las.

Manche Autoren kaufen zum Autorenrabatt Bücher bei ihrem Verlag ein, um sie auf Lesungen zu verkaufen und damit rund 40 % statt 6 % oder 10 % des Verkaufspreises zu erhalten. In den meisten Verträgen ist dieser Verkauf jedoch ausdrücklich untersagt; zweitens müssen auch diese Umsätze verbucht und versteuert werden. Zudem macht dann ein Autor auch noch den Buchhändlerjob und enthebt den Veranstalter von der Pflicht einer rechtmäßigen und fairen Vergütung.

Ein Werbe-Effekt für das eigene Image ist für den Buchhändler festzustellen, der von seinen Kunden dafür geschätzt wird, dass er ihnen ein Unterhaltungs­programm organisiert. Der Buchhändler erhält zudem auf jedes verkaufte Buch 30 bis 40 % Rabatt, und kann somit bei 8 oder 20 verkauften Büchern zwischen 25 und 100 Euro zur Seite legen. Natürlich: Auch vor Steuern und vor Auszahlung seiner Mitarbeiter. So trägt sicher auch er Risiko und auch Gewinn. Werbung im Sinne eines Presse-Berichtes ist in 90 von 100 Fällen nicht gegeben, da keinerlei Pressevor- oder Nachbericht statt findet. Man wird durch Lesungen nicht berühmt; man wird durch konstant hohe Bücherverkäufe, regelmäßige, überregionale oder TV-Presseberichte, renommierte Preise, Verfilmungen und jahrelanges Dranbleiben berühmt. Vielleicht. Also, etwa 1 von 100 Autoren und Autorinnen. Schreiben und Veröffentlichen ist eine zutiefst mühsame Einkommensvariante.

Kultur darf nicht umsonst sein. Das gilt vor allem, wenn ein Veranstalter einen Autoren bucht. Dieser erbringt eine Leistung. Alle andere Effekte sind peukuniär und nicht nachweisbar.
Manche Autoren und Autorinnen entscheiden sich dennoch für honorarfreie Lesungen, und argumentieren mit: „Aber es bucht mich ja sonst keiner … weil ich ein Neuling bin.“


• Auch Neulinge haben das Recht auf Ausgleich für ihre Leistungen.

• Jeder kann und sollte sich natürlich individuell entscheiden, wie viele Ausnahmen von der Honorar-muss-sein-Regel er/sie sich trotz aller Argumente leisten kann und will: Manche Autorinnen haben einen Benefiz-Etat im Jahr, um so z.B. für den Lions Club, das Frauenhaus oder das neu eröffnete Kulturcafe einer Freundin gratis zum Unterhaltungsprogramm bei zu tragen. Andere setzen sich eine 2-Jahres-Frist, bis sie sich in der Branche etabliert zu haben. Wieder andere sagen: es ist eh um die Ecke bei meinem Lieblingsbuchhändler, wir mögen uns, komm: einmal im Jahr für umme ist drin!

• Wieder andere lassen sich in Naturalien bezahlen. Büchergutscheine, Wein, Balkonblumen. Das darf auch mal sein. Macht zwar kein anderer Dienstleister, aber wer weiß: vielleicht kann man mal den Pizzaboten fragen, ob er sich in Büchern auszahlen lassen will.

• Vorsicht: Nehmen Sie keine Spendenquittungen als Bezahlungen an, in denen der Veranstalter behauptet, Sie hätten Ihre 350,00 Euro Honnorar freiwillig gespendet. Der Steuer-Effekt, Spenden vom Umsatz/Einkommen abzuziehen, ist ein fauler Kompromiss – Sie müssen nämlich zuvor Umsatzsteuer auf Honorar zahlen, das Sie nicht mal eingenommen haben!

• Manche vereinbaren die sog. „Theaterregel“ – und werden anteilig von den Eintrittsgeldern bezahlt statt mit einem Festhonorar. So teilen sich Veransatlter und Autor das Risiko wie den Gewinn paritätisch, oder i m besten Fall70 % Autor, 30 % Veranstalter. Von den 70 % muss der Autor dann aber auch Anreise und Unterbringungen sowie Bewerbung selbst finanzieren.

Wie auch immer Sie sich entscheiden, bedenken Sie: Jedes Mal, wenn Sie umsonst lesen, wird es ein Autor und eine Autorin nach Ihnen noch schwerer haben, für die Leistung entlohnt zu werden.

Rat und Tipps für Autorinnen und Autoren, eine Lesung zu koordinieren: www.literaturcafe.de/29-autoren-tipps-fuer-eine-erfolgreiche-lesung