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Verzichtserklärungen VG Wort

Verzichtserklärungen

Pro & Contra

Bei Fairer Buchmarkt häufen sich Anfragen zur individuellen Positionsfindung: Rechte rückwirkend abtreten – oder nicht?

— Vorgeschichte der VG Wort und des Urteils
— Pro/Contra Verzicht
— Das Binnenverhältnis
— Ausblick 2017


Zur Vorgeschichte: Die VG Wort wurde 1958 gegründet. Ziel war damals, Verlagen und Autoren einen Ausgleich für entgangene Verkäufe durch eine erhöhte Ausleihe in Bibliotheken zu ermöglichen, die Privatkopieabgabe.

 

Zu den Abgaben auf Übertragung von Wortwerken im Fernsehen gesellten sich bald Abgaben für Schulbücher, und im Laufe der fast sechzig Jahre wurden – meist erst nach Prozessen, die die VG Wort anstrengen musste – Geräteabgaben erhoben, METIS-Zählpixel, Abgaben auf Lesezirkelmappen, Kopiergeräte, Hörfunk u. a. 1978 fusionierte die VG Wort mit der VG Wissenschaft (Universitätslektüren, Schulbücher, uswusf.). Zum Historischen Verlauf.
Die VG Wort schließt Verträge mit jenen ab, die zur Abgabe verpflichtet sind, und wird über die ZPÜ, die Sammelstelle der 13 Verwertungsgesellschaften, nach Split-Quote bedacht. So werden z.B. Einnahmen von Handys und Tablets anteilig für Gema, VG Bild Kunst und VG Wort gesplittet.
Generell: Dies war auf nationaler Ebene geregelt und umfasste eine gemeinsame Inkasso-Vertretung von Verlagen und AutorInnen.

2001 wurde auf Europäischer Ebene eine Richtlinie geändert, die sog. InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG. Sie besagte u.a. in Kurzform, dass Verlage nicht mehr „uneingeschränkt“ sondern nur unter bestimmten Bedingungen an Rechten aus Wahrnehmungsverträgen wie der der VG Wort beteiligt werden können.
Der deutsche Gesetzgeber sprach sich 2008 (BT-Drucksache 16/1828, 32) für eine Verlegerbeteiligung aus, der sog. Paragraf 63a wurde um den Satz ergänzt: „Der neue Satz 2 soll gewährleisten, dass die Verleger auch künftig an den Erträgen der VG Wort angemessen zu beteiligen sind“. 2011 klagte der Wissenschaftsautor Martin Vogel gegen die VG Wort und seinen Verlag C.H.Beck gegen die sog „pauschalisierte“ Ausschüttung. Sie beträgt bei WissenschaftsautorInnen 50 % an Verlage.

Nach mehreren Instanzprozessen wurde im April 2016 auf BGH-Ebene entschieden: Dr. Vogel erhält Recht, dass pauschale Ausschüttungen so nicht mit dem EU-Gesetz vereinbar seien. Die Urteilsbegründung umfasst über 100 Randnummern. Das BGH hat nicht die Verlagsanteile generell in Frage gestellt – sondern die pauschale Verteilung. Das BGH hat gleichsam in vier Randnummern der Begründung beschieden, dass Rechte nachträglich an Verlage gegeben werden können. Aber nicht müssen.
Um diesen BGH-Auftrag zu erfüllen, ohne gleichzeitig die Autorinnen und Autoren dem möglichen Druck von Verlagen auszusetzen, haben die Autoren des Verwaltungsrates im November 2016 auf das anonymisierte Verfahren gedrängt, wie dann auch von der MV verabschiedet , das jetzt umgesetzt wird. Verlage sind in der Pflicht, ihre Autoren und Autorinnen über diese Möglichkeit des Verzichts zu informieren. Manche tun das schnörkellos, andere verbinden dies mit Appellen.

Autoren und Autorinnen, die ihre Rechte und Prozentanteile (30 % Belletristik, 50 % Wissenschaft) im Nachhinein für die Jahre 2012-2015 und 2016 an ihre Verlage (je Verlag einzeln möglich) freiwillig geben wollen, sollten dies ausschließlich mit Formularen der VG Wort tun. Diese Verfahren sind anonymisiert und freiwillig. Niemand ist verpflichtet, abzutreten, jeder soll und kann entscheiden, wie er / sie persönlich will.
Sie sind nicht verpflichtet, dem Verlag gegenüber Ihre rückwirkende Abtretung oder Nicht-Abtretung zu erklären. Der Verband der Übersetzer z.B. empfiehlt seinen Mitgliedern: „Keine Äußerung dem Verlag gegenüber, sondern nur an die VG Wort. Falls Ihr aber in einem solchen Brief aufgefordert werden solltet, Euch dem Verlag gegenüber zu erklären, bitten wir dringend um Nachricht an den Vorstand, damit wir den Verlag darauf hinweisen, dass das nicht in Ordnung ist. Auch jede Form von verhohlenem oder unverhohlenem Druck wäre unstatthaft und sollte unbedingt dem Vorstand zur Kenntnis gebracht werden.“

Am 24.12.2016 trat das neue Urhebervertragsrechts-Gesetz in Kraft. U.a. wurde ein neuer Paragraf eingefügt, der 27a., der die Beteiligung der Verlage gesetzlich erlaubt – unter der Bedingung einer freiwilligen Abtretung der Autorinnen bei/nach Veröffentlichung des Werkes (nicht vorher und also auch nicht im Verlagsvertrag verabredet!).

WICHTIG für 2017: Autoren und Autorinnen wird geraten, keinerlei (!) individuelle Verabredungen oder Zusatzvereinbarungen mit ihren Verlagen über die Abtretungen zur Rückabwicklung hinaus zu treffen oder zu unterzeichnen.

 

Der VdÜ weist auf folgendes hin:
„Falls in jetzt abzuschließenden Verträgen VG-bezogene Klauseln auftauchen, die von in die VG einzubringenden Rechten der Verlage reden, sind diese nichtig und zu streichen: Die Verlage verfügen über keine Rechte, die sie einbringen könnten.
Falls in neuen Verträgen vorgesehen wird, dass Ihr dann später, nach Erscheinen des Werks, einen dem Verteilungsplan der VG Wort entsprechenden Anteil abtreten werdet, ist auch das nichtig und zu streichen; solche Klauseln wären rechtswidrig, da BGH und neues Gesetz einzig eine Abtretung im Nachhinein erlauben.“
Und auch das wird über die VG Wort organisiert, nicht über den Verlag.

Das gilt vor allem für Abtretungen, die im Voraus verlangt würden: Unterzeichnen Sie keine individuellen Vereinbarungen die in Ihren Verträgen für Buchprojekte ab 2017 stehen.

Das offizielle Prozedere ist so, dass bis 28. Februar 2017 Abtretungserklärungen für die Jahre 2012-2015/16 per VG-Wort-Formular von Seiten der Autorinnen und Autoren eingehen können. .

 

Wie, wurde auf der Fairer-Buchmarkt-Seite „Über Geld“ dargelegt: „Alles kann, nichts muss“.
Ab 1. März 2017 wird „verrechnet“; d.h. die Rückforderungen an jeden Verlag mit dem verrechnet, was Autoren und Autorinnen eventuell an diesen abgetreten haben.
Die endgültigen Rest-Zahlungen der Verlage an die VGW findet im März und April statt.
Voraussichtliche Ausschüttung an die Autoren und Autorinnen für die Rückabwicklung 2012-2015 und 16 werden zur Hauptausschüttung im Juni 2017 erwartet

Wie entscheiden?  CONTRA-ÜBERLEGUNGEN

 

Einkommens-Contra: In Anbetracht der Tatsache, dass Autoren und Autorinnen einem ständigen wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt sind, und die wenigsten allein von Honoraren aus Buchverkäufen ihr Lebenseinkommen bestreiten, ist eine Finanzspritze willkommen.

Augenhöhe-Contra: Vielfach haben Autoren und Autorinnen die eher frustrierende Erfahrung gemacht, dass sie sich nicht als gleichwertige PartnerInnen verstanden fühlten, sondern dem Verhandlungsgeschick eines Verlages unterlegen.
Konditionen und / oder Honorarvereinbarungen schienen wenig auf ein ausgewogenes, beiderseitig zufriedenstellendes Geschäftsverhältnis zu bestehen. Um sich im Nachhinein so etwas wie einen Ausgleich für die vermisste Augenhöhe zu holen, wird gegenüber jenen Verlagen NICHT verzichtet, die sich nicht gerecht oder verhandlungsbereit verhalten haben.

Formaljuristisches Contra: Auch wenn es nur um die pauschale Ausschüttung ging, die vom BGH abschlägig beschieden wurde, und nicht die generelle Verlegerbeteiligung in Frage gestellt wurde, so haben Verlage dennoch keine originären Urheber- oder gesetzlichen Leistungsschutzrechte, die gesetzlich in dieser Deutlichkeit fundamentiert sind.

Buchbranchen-Contra: Verlage sind Wirtschaftsunternehmen, und wenn diese durch Rückzahlungen nun in Gefahr sind, müssen dort Lösungen gefunden werden – Verlage helfen Verlagen, Börsenverein oder Regierung entwickelt Förderprogramme –, nicht bei Autoren und Autorinnen.

Emotionales Contra: Der Verlag hat sich in wesentlichen Bereichen der Zusammenarbeit als wenig vertrauenswürdig erwiesen.

Wie entscheiden?  PRO-ÜBERLEGUNGEN

 

Fairer Verlag – fairer Verzicht: Der VdÜ rät, jenen Verlagen zugunsten zu verzichten, die sich gemeinsamen Vergütungsregeln angeschlossen haben oder generell bekannt seien für „faire Verträge“: „Vorstand und Honorarkommission des VdÜ empfehlen, bei denjenigen Verlagen auf die Rückforderung zu verzichten, die sich den Gemeinsamen Vergütungsregeln (GVR) von 2014 angeschlossen haben oder ihre Verträge daran ausrichten, ohne die GVR unterzeichnet zu haben. Dasselbe gilt, wenn der betreffende Verlag Verträge, die vor 2014 abgeschlossen wurden, den GVR angepasst hat oder bereit ist anzupassen. Kurz: wenn der Verlag für faire Verträge bekannt ist.“

Juristisches Pro: Da der BGH nicht explizit gegen die Verlergerbeteiligung generell ist, und der Gesetzgeber mit Wirkung vom 24.12.2016 mit dem 27a eine Beteiligung der Verlage bei freiwilliger Abtretung der Autoren und Autorinnen untermauerte, spricht nichts gegen eine rückwirkende (freiwillige) Abtretung. Verleger zu beteiligen ist nicht ungesetzlich.

Kausales Pro: Da die Privatkopieabgabe auf ein Produkt gezahlt wird, das es ohne Verlagsleistungen nicht gäbe, ist es nachvollziehbar, dass der Verlag seine Anteile erhält. Gerade bei z.B. Hörbuchverlagen ist die Leistung deutlich. Es ist auch ein Verkaufsverlusts-Ausgleich, eines Produktes, das ohne Verlag so nicht kopierbar, leihbar, verkaufbar wäre.

Konsens-Pro: Sowohl die Initiative Urheberrecht, bei der 35 Urheberverbände organisiert sind, als auch die AutorInnen der Mitgliederversammlung der VG Wort, haben sich für eine gemeinsame Arbeit von Autorinnen und Verlegenden in der VG Wort ausgesprochen. Eine gemeinsame Vertretung ist gegenüber der Geräteindustrie nötig, die, wie etwa die BITKOM aber auch andere europäische Herstellerverbände, seit Jahren gegen die Privatkopieabgabe Stellung bezieht und sie abschaffen würde.

Zukunfts-Pro: Die VG Wort ist einige der wenigen funktionierenden, transparenten und starken Verwertungsgesellschaften der Welt. Sie existiert in nur wenigen Ländern in der Form. In den USA etwa erhalten Autorinnen keinerlei Ausgleich dafür, wenn ihre Werke von Bibliotheken, Hörfunk oder bei Google-Books benutzt werden.
Es werden immer mehr Texte auf digitalisiertem Weg genutzt. Es ist in Zweifel zu ziehen, ob eine reine Autoren-VG dieselbe Verhandlungsstärke hätte wie eine gemeinsame VG, bei der sich die Beteiligten mit offenem Visier begegnen.
Würden die Verlage z.B. die VG Wort verlassen und eine VG Publishing gründen und ein Leistungsschutzrecht begründen, bliebe das gesamte Aufkommen der Privatkopiepauschalen gleich. Derselbe Kuchen würde erneut zwischen den Parteien aufgeteilt werden. Nur ohne an einem Tisch zu sitzen.

Buchbranchen-Pro: Es gibt nicht DIE Verlage. Es gibt kleine, große, mittlere, Hörbuchverlage, Autorenverlage, uswusf. Sie werden von Menschen gemacht. Manche sind Geschäftsleute, manche Literaturidealisten. Manche pflegen Autoren sehr, manche gar nicht mehr.
Manche haben bereits die VG Wort-Tantiemen der Jahre 2012-2015, wenn auch nur unter Vorbehalt ausgezahlt, wieder in das Unternehmen gesteckt, und das nicht aus Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit, sondern aus schlichter Notwendigkeit.
Manchen werden nun Ratenzahlungen gewährt, wer insolvenzgefährdet ist, kann dies aufzeigen und auch dafür werden Verfahren gefunden.
Verlage sind nach wie vor GeschäftspartnerInnen, immer noch will das Gros heutiger Autorinnen mit einem Verlag zusammen arbeiten und von dessen Leistungen profitieren – sowie die eigene Leistung vertrauensvoll verarbeitet sehen.

Emotionales Pro: Das sind tolle Leute im Verlag. Zuneigung und Einvernehmlichkeit sind hoch.

VG Wort ist das eine – die Unzufriedenheit mit Verlagen das andere. Zwei Schuhe, zwei Entscheidungen: Wie verändert sich die Verlagswelt und das Binnenverhältnis durch diese unerquickliche Konstellation, wo die einen, die Verlage, betteln, drängen oder zum Fragen gezwungen sind, und die anderen, die Autoren und Autorinnen, sich ständig zwischen Emotionalität und Rationalität entscheiden müssen, wie sie mit ihren Rechten umgehen?

 

Das Verhältnis ist seit dem BGH-Urteil vergiftet, ohne gleichzeitig über das zu verhandeln, um was es eigentlich geht:
Es gibt im Binnenverhältnis von Verlegenden und Schreibenden immer wieder deutlichen Nachbesserungsbedarf. Kommunikation, künstlerische Kooperation, Konditionsverhandlungen, dort liegen viele Unzufriedenheiten seitens der Autorinnen.
Aber: es sind eigene Problemfelder. Sie werden nicht durch Verzicht oder Nicht-Verzicht gelöst. Gleichwohl aber sind sie häufig die Ursache für den Nicht-Verzicht. Und das sollte Verlagen nicht egal sein. Oder, anders gesagt: Für Solidarität muss es gute Gründe geben. Die gibt es vielfach, das ist unwidersprochen! – aber häufig auch nicht.
Die Unwucht dieser Binnenverhältnisse sollte dort geklärt werden, wo sie sich zeigen! Durch Rechtsberatung (VS, Agenturen), durch politische Überzeugungsarbeit mit den Verbänden, in den direkten Verhandlungen. Die VG Wort ist nicht die Arena, in der dieser Kampf stattfinden sollte.

AUSBLICK auf 2017 und VG Wort: Eine wesentliche Änderung wird das neue Transparenzgesetz des Verwertungsgesellschaftsgesetzes nach sich ziehen.

 

Mitgliederversammlungen können per Livestream von Mitgliedern der VGW (Nicht Wahrnehmungsberechtigten!) verfolgt werden.
Mitglieder können per „elektronischer Briefwahl“ abstimmen über Vorlagen. Vollmachten kann jedes anwesende Mitglied nun zehn (10) vor Ort mitnehmen, bisher konnte jeder Anwesende für zwei weitere Mitglieder sprechen und abstimmen.
Es ist jedem zu raten, zu prüfen, ob er oder sie die Voraussetzungen zu einer MITGLIEDSCHAFT in der VGW erfüllt: drei Jahre lang 1200 Euro oder im Schnitt 400 Euro pro Jahr Ausschüttung. Es könnten zurzeit bereits 25.000 Wahrnehmungsberechtigte Mitglieder werden.

Außerdem ist jedem Autoren, jeder Autorin, zu raten, für neue Buchprojekte jetzt keine individuellen Einzelabreden mit Verlagen zu treffen. Der Gesetzgeber hat die Verlegerbeteiligung bekräftigt und abgesichert – aber zu der Bedingung der freiwilligen (rückwirkenden) Abtretung. Damit dieses gesichert bleibt, empiehlt sich, über ein VG Wort-verwaltetes Verfahren abzutreten (oder eben auch nicht) und jegliche Vertragsklauseln, die eine heutige unwiderrufliche Abtretung auf künftige Werke umfasst, als nichtig zu streichen.