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DOSSIER FLATRATE

 

Aktuelle Entwicklung: Flatrate am Ende?

"Eine aus Autorensicht gerechte Bezahlung ist damit nicht mit dem Flatrate-Geschäftsmodell vereinbar", sagt Matthias Matting über Flatrate Modelle.

Mittlerweile steigen die ersten Flatrate Anbieter aus. Oyster in den USA gibt auf, Scribd kann sich den Verleih von Liebesromanen nicht mehr leisten. Für die Flatrate Anbieter wird es eng und für die Autoren und Verlage lohnt es sich nicht.

Und möglicherweise auch nicht für die Leser, denn kein Verlag wird seine Bestseller dort einstellen - es sei denn, er erhält vergleichbare Gelder wie beim Verkauf. Aber dann rentiert sich das Flatratemodell nicht mehr.
Bei Amazon funktioniert es, weil die (billigeren) Selfpublisher-Bestseller mit Boni und Werbung angesprochen werden. Und weil Amazon seine Kindle Unlimited Flatrate subventionieren kann. Bei teureren Verlagsbestsellern würde das nicht funktionieren. Bei Skoobe wird vor allem die Backlist angeboten.

Die Flatrate ein Auslaufmodell? Oder nur als Zuschussbetrieb für zahlungskräftige Konzerne wie Amazon?



Jede Seite zählt

Wie verändert Amazons neues Abrechnungsmodell das Lesen – und das Schreiben?

Flatrate Kindle Unlimited: Amazon bezahlt jetzt nur noch nach gelesenen Seiten. Ab 1.7.2015 ändert Amazon die Regeln zur Berechnung der Leihboni bei Kindle Unlimited und Kindle-Leibücherei. Bezahlt wird nach Anzahl der gelesenen Seiten.

Hans Peter Roentgen denkt in seinem Essay AMAZON, DIE ABRECHNUNG NACH SEITEN UND DER UNTERGANG DES ABENDLANDES noch einen Schritt weiter: Was geschieht mit den dazu erhobenen Daten wie Lesegewohnheiten, beliebte oder unbeliebte Szenen, typische Abbruchs-Momente? Warum lassen wir uns eigentlich von Zielgruppenstatistiken gängeln? Und: wie mutig sollten Autorinnen und Autoren noch werden – ob in der Themenwahl, der Wahl ihrer Geschäftspartner?

Computerbild analysiert: Amazon begründet seinen Schritt damit, hierdurch einem Wunsch vieler Autoren nachzukommen. Insbesondere Verfasser von längeren Werken versprechen sich dadurch eine höhere Ausschüttung. Welche Folgen das neue Verfahren langfristig hat, ist noch nicht absehbar. Möglich ist zum Beispiel, dass Autoren beim Schreiben zukünftig mehr darauf achten, sogenannte Cliffhanger sowie wechselnde Spannungsbögen & Co. einzubauen, um die Leser bei der Stange zu halten. Die wiederum dürfen sich sicher sein, dass die Überwachung ihres Leseverhaltens in Zukunft zu- statt abnimmt. Immerhin sind die Daten dann nicht nur für Abrechnungszwecke, sondern auch zu Marktforschungszwecken sprichwörtliches Gold wert.
www.computerbild.de

DeutschlandRadio Kultur: Literaturtheoretiker, Professor für Textheorie an der Berliner Universität der Künste, Stephan Porombka begrüßt das „money per page“-Modell:
"Und warum sollten wir im Bereich des virtuellen, also im Netz, nicht eine andere Form von Literatur haben, die eben anders funktioniert, die vielleicht schneller funktioniert, die serieller funktioniert." Diese Netzliteratur könne dann eher wie Benzin funktionieren, weil sie den Leser mit Treibstoff versorge, um die Gedanken am Laufen zu halten."
www.deutschlandradiokultur.de

Die Pro & Contra-Debatte bei Selfpublisherbibel: Jürgen Schulze, Null Papier Verlag: "Was ist mit Leuten, die ihren Kindle offline schalten (so wie ich) nach dem Download und dann das E-Book nach dem Lesen ebenfalls offline gleich wieder entfernen? Dann kann Amazon überhaupt nicht wissen, wie viel ich gelesen habe.
Hier bestätigt sich wieder einmal, was passiert, wenn ein Monopolist seine Geschäftsmodelle durchprobiert: Er wird nicht durch den Markt kontrolliert und pfeift im Zweifelsfalle auf die Wünsche seiner im Produktionsprozess vorgelagerten Geschäftspartner. Wer kauft, soll bezahlen. Punkt. Literatur ist kein Lady Gaga Stream. Ich empfinde diese Entwicklung als zunehmend einengend und belästigend. Zum Glück habe ich mich genau aus diesen Gründen mit meinem Verlag aus dem Miet-Geschäft verabschiedetet. Denn ich habe weder Lust noch Zeit, mich alle 3 Monate auf die neuen Ideen der Händler einzustellen."

Mehr kritische Stimmen: www.selfpublisherbibel.de
Amazons Mitteilung: kdp.amazon.com
Die FAZ freut sich auf „verschlungene Handlungen und mehr Bilder“: www.faz.net CHIP sieht „schlechte Autoren“ im Nachteil und lobt die Daten-Kraken Amazons: business.chip.de
MACLIFE hat eine Zeitenwende in der Literatur gesehen: www.maclife.de

Das sagt Fairer-Buchmarkt-Autor Hans Peter Roentgen:

AMAZON, DIE ABRECHNUNG NACH SEITEN UND DER UNTERGANG DES ABENDLANDES

Schon immer bevorzugten AutorInnen wie Verlage Themen, bei denen sie sich sicher sein konnten, dass sie nicht wie Blei in den Regalen liegen. Und bei der Suche nach dem Bestseller-Rezept scheint die Auswertung von Lesegewohnheiten bei E-Books zu helfen. Aber müssen sich Autorinnen wirklich von Daten gängeln lassen? Und haben Konzerne wie Amazon oder Verlagsgiganten nicht doch weniger Macht, als wir es hoffen oder fürchten? Ein sehr persönliches Essay.

Amazon bezahlt die Autoren nicht mehr pro Buch, sondern pro gelesener Seite. So ging es durch die Presse und die Empörung war groß. Zwar stimmte das so nicht, Amazon bezahlt nur in seiner Flatrate die Autoren pro gelesener Seite. Und auch das gilt nur für die Selfpublisher.

Aber die Empörung über die Datensammelwut des Internetriesen aus Seattle war dennoch nicht ganz unberechtigt. Selbst wenn es nicht neu ist, dass die E-Book-Reader schon lange speichern, wer wann was liest. Jeder Reader merkt sich, wo der Leser aufgehört hat zu lesen. Und seit die Reader, egal ob Amazons Kindle oder der Tolino, die Daten in der Cloud ablegen, wird es noch einfacher für die Firmen, diese Daten zu gewinnen und auszuwerten. Die Seitenabrechnung von Amazon hat uns nur erneut daran erinnert, welche Daten und welche Informationsmengen den Betreibern da zur Verfügung stehen.

Über den Abrechnungsmodus selbst kann man unterschiedlicher Meinung sein. Bisher konnten Verfasser kurzer Texte mit Amazons Flatrate mehr verdienen als mit dem Verkauf. Während die Verfasser langer Texte eher Nachteile haben. Jetzt ändert sich das, entsprechend steigen die ersten Selfpublisher mit Kurztexten aus und andere steigen ein. Die Verlagsautoren betrifft das alles nicht, dort gibt es ganz andere Probleme. Dass sie nämlich oft von den Verlagen ungefragt in die Flatrates bei Amazon oder Skoobe eingestellt werden und dort deutlich weniger verdienen als beim Verkauf.
Daten sind Goldgruben. Sie erlauben es, Kunden und Kaufgewohnheiten zu erforschen, sollen voraussagen, welche Produkte, welche Eigenschaften sich verkaufen werden und welche nicht. In der Literatur kann das verheerend wirken.

Wollen Sie nur noch Bücher lesen, die am Reißbrett anhand der Lesegewohnheiten entworfen werden? Passgerecht zugeschnittene Literatur? Nicht dass es das nicht schon längst gegeben hat. Vom geplanten Bestseller träumen Verlagskaufleute schon lange. Verlage wollten die Autoren schon immer gerne in die Richtung steuern, die ihrer Meinung nach marktgängig ist. Jetzt allerdings könnten sie bald eine Fülle von Daten an der Hand haben, die ihnen weit bessere Möglichkeiten dafür bieten. Man muss nicht mal die Daten von Amazon kaufen. Schon die Analyse in den E-Book-Readern, wer wann wo welche Anmerkungen gemacht hat, lässt Rückschlüsse darauf zu, bis wohin gelesen wurde. Der Wissenschaftler Jordan Ellenberg hat das gemacht.

Noch viel beunruhigender ist ein anderer Aspekt. Wer in den Fünfzigern in einem Dorf, einer Kleinstadt, selbst in einem übersichtlichen Großstadtviertel wohnte, wusste es: Jeder kennt jeden, jeder weiß alles über jeden. Manchmal glaube ich, dass uns das Internet, Facebook und all die sozialen Netze wieder in diese Zeit zurückversetzen. Damals musste man zur Kirche gehen, brav die Kirchensteuer zahlen, selbst wenn man nicht an Gott glaubte. Und egal, wie haarsträubend die Predigt des Pfarrers war, aufmerksames Zuhören war angesagt. Wer die falschen Bücher in der Stadtbibliothek auslieh oder im Regal stehen hatte, konnte schnell in den Verdacht kommen, ein Kommunist oder Homo zu sein. Beides war existenzgefährdend.

Datenschutz ist keine Spinnerei weltfremder Liberaler
Man muss nicht gleich die Datensammelwut von Gestapo, KGB und Stasi bemühen, selbst die Fünfziger Jahre zeigen, wie wichtig er ist. Jaron Lanier hat das im Interview beleuchtet.
Ich halte Jeff Bezos nicht für einen geldgierigen Teufel, vemutlich ist er sogar ein netter Mensch, schätzt Bücher und glaubt, das Gottesgeschenk für den Buchmarkt zu sein.
Nur heißt das leider nicht, dass Amazons Datensammlungen nicht beunruhigend sind. Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut. Amazon, Facebook und Google haben mittlerweile sehr viel Macht angehäuft.

Noch etwas fällt mir auf. Zwar wird landauf, landab über Amazon geschimpft. Alle empören sich über die Datensammelwut des Giganten. Und alle, so scheint es, sind überzeugt, dass sie wehrlos sind, hilflos, dass Unmutsäußerungen das einzige sei, was möglich ist. Ist es das? Sind wir wirklich wehrlos? Immerhin funktioniert die Buchplanung am Reißbrett nur, wenn wir auch so lesen, wie am Reißbrett geplant.

Schon 1997 konnte man aus den Daten vergangener Buchkäufe einiges erschließen:

1. Zehnjährige lesen keine Bücher mit mehr als 120, 150 Seiten.
2. Jungen lesen keine Bücher von Autorinnen und überhaupt nur wenig.
3. Wenn der Held eine Heldin ist, fördert das den Verkauf, schließlich sind Mädchen die Kunden der Kinderbücher.
4. Fantasy verkauft sich nur in kleinen Stückzahlen.

Eine gewisse Joanne K Rowling, die damals niemand kannte, kümmerte sich einen Dreck darum, entwarf ihr Werk nicht nach den Marketingregeln vergangener Buchkäufe. Harry Potter wurde zum Welterfolg.

Wer sich an den Daten orientiert, was Leser bisher gelesen haben, wählt die sichere Seite. Aber ich finde es schade, wie sehr wir Autoren und Leser uns auch (von Daten) gängeln lassen. Hans Peter Roentgen

Ich weiß, ich weiß, liebe Autorinnen und Autoren. So ein Erfolg geschieht einmal in fünf Jahren. Andere Bücher, die sich nicht an den Lesegewohnheiten orientierten, floppten. Das Risiko ist hoch. Wer sich an den Daten orientiert, was Leser bisher gelesen haben, wählt die sichere Seite. Das wird in Zukunft zunehmen. Je mehr Daten über Lesegewohnheiten durch Reader und deren Betreiber erhoben werden, desto höher wird der Druck werden. Autoren wollen schließlich leben, Croissant zum Frühstück, eine große Wohnung mit Balkon, schön Essen gehen, wer will das nicht. Und sich am Lesergeschmack und Lesegewohnheiten zu orientieren, da ist man auf der sicheren Seite.
Me-Too-Strategie nennt man das.

Wir alle schimpfen auf die neoliberalen Ideen
Bankenkrise, nur noch Kommerz, kennen wir ja. Aber wir alle sind überzeugt, dass wir uns diesem Prokrustesbett anpassen müssen. Müssen wir das? Zumindest ab und zu könnten wir den großen Datensammlern eine Nase drehen, etwas anderes schreiben. Und vor allem etwas anderes lesen.

Um einmal auch Positives über die digitalen Konzerne zu vermelden. Mark Zuckerberg, der Chef von Facebook, empfiehlt seit neuestem Bücher. Nein, nicht die gängigen Bestseller. Sondern eher unbekannte Werke. Nichts gegen Bestsellerlisten. Aber niemand verbietet uns, auch mal anderes zu lesen. Niemand kann uns zwingen, immer das gleiche zu lesen, immer das gleiche zu schreiben. Amazon hat uns nicht nur seine Datenkrake beschert. Sondern auch ganz neue Möglichkeiten des Veröffentlichens. Wir müssen es nur nutzen.

Auf den Buchmesse in Frankfurt und Leipzig habe ich die Vorträge in den Selfpublisherforen verfolgt. 90% behandelten das Marketing und wie man sich verkauft. Nichts dagegen, wie oben erwähnt, ich gehe auch gern essen, ich weiß, dass ich Miete zahlen muss, dass es darum geht, zu verkaufen, verkaufen, verkaufen. Aber ich finde es schade, wie sehr wir Autoren und Leser uns auch gängeln lassen.

1965 erschien ein Buch „Die deutsche Bildungskatastrophe“
Nur fünf Prozent aller Jugendlichen studierten damals. Mädchen, Kinder aus dem ländlichen Raum, Arbeiterkinder hatten wenig Chancen, dazu zu gehören. Der Autor Georg Picht war sehr skeptisch, dass man das ändern könne. Der frühere Freiburger Asta Vorsitzende Ignaz Bender sah das anders. Er wollte den VdS, den Verband der Studentenschaften zu einer Demonstration am 1. Juli aufrufen. Viele sagten: Hoffnungslos, darunter der Spiegel (!) und der spätere Berliner Oberbürgermeister Diepgen. Stundenten interessieren sich für Mensapreise, aber sonst nichts. Da kriegen wir nicht mal 10.000 zusammen.

Am 1. Juli 1965 gingen 100.000 Studenten, 40% aller damaligen Studenten, auf die Strasse, alle Medien berichteten, in der Folge gab es viele Diskussion und Aktionen, darunter „Student aufs Land“. Sie setzten eine Entwicklung in Gang, die die Bundesrepublik prägen sollte. Auch wenn heute nicht alles ideal im deutschen Bildungssystem ist, so hoffnungslos schwarz wie mancher es malte, war es nicht. Und mittlerweile studieren mehr Frauen an der Uni als Männer.

Ganz offensichtlich war in den Köpfen die Übermacht der Konzerne unverrückbar, der Untergang des Abendlandes gewiss. Doch dass man etwas dagegen unternehmen könne, schien vielen unvorstellbar. Hans Peter Roentgen

Amazon markierte 2014 die Bücher der Bonniergruppe und von Hachette als „Lieferfrist 8-12 Tage“ und entfernte sie aus den „Kunden haben auch gekauft“ und anderen Listen. Das Geschrei unter den Autoren war verständlicherweise groß, zahlreiche Artikel erschienen, nicht jeder von Sachkenntniss getrübt. Aber als Nina George, Elke Pistor und ich eine Unterschriftenliste aller Autoren gegen diese Amazon-Aktion vorschlugen, sagten alle: „Zwecklos, damit wischen die sich den Arsch ab“. Ganz offensichtlich war in den Köpfen die Übermacht der Konzerne unverrückbar, der Untergang des Abendlandes gewiss. Doch dass man etwas dagegen unternehmen könne, schien vielen unvorstellbar. Dabei waren die Folgen absehbar.

Wäre Amazon mit dieser Aktion erfolgreich gewesen, hätten andere Firmen dieses Modell übernommen. Womöglich wäre irgendwann ein Finanzmanager des Spiegels auf die glorreiche Idee gekommen, von den Verlagen entsprechend große Anzeigen zu verlangen – schließlich nützt die Bestsellerliste auch den Verlagen! – und sie hätten Ullstein aus der Liste ausgeschlossen, bis die mehr Anzeigen schalten. Auch andere Firmen wären versucht gewesen, dieses Modell zu kopieren.

Die Unterschriftenliste kam zustande. Sie erreichte ihr Ziel, Amazon soviel Ärger wie möglich zu machen, um etwaige Wiederholungstaten zu verhindern. Amazons Ruf hat die Aktion nicht gefördert, sein Marktanteil im Buchbereich ging zurück.
 So mancher derer, die sie vorab für unnütz erklärt hatten, hat dann doch unterschrieben. Ich will niemanden nachträglich von dem Inhalt überzeugen. Aber davon, dass wir nicht lauthals den Untergang des Abendlandes beklagen müssen, in der festen Überzeugen, doch nichts tun zu können. Außer zu klagen. Manchmal habe ich das Gefühlt, dass einige laut die Übel des Neoliberalismus und des Kapitalismus beklagen und glauben, irgendwann werde ein Raumschiff mit lieben, netten Aliens kommen, eine tolle Gesellschaftsform im Schlepptau und dann leben wir im Paradies. Liebe Leute, ich fürchte, ich glaube nicht nur nicht an Gott, sondern auch nicht an dieses Wunder.

Wer verbietet unserer Phantasie, auch mal was anderes zu tun?
Der vorauseilende Gehorsam für all die neoliberalen Grundsätze in unserem Kopf ist oft der Täter. Die Digitalisierung hat uns eine Menge Vorteile beschert. Meinen Kontakt zu Facebookfreunden will ich nicht mehr missen, die Möglichkeit, morgens am Schreibtisch zu recherchieren und Artikel zu lesen, auch nicht. Sie hat uns aber auch eine Menge Probleme beschert, die Datenkraken und der Verlust der Privatsphäre gehören dazu. Die Gesetzgebung ist bis heute diesen Veränderungen nicht nachgekommen. Das wird uns die nächsten Jahrzehnte beschäftigen, so, wie das 19. und 20. Jahrhundert durch die Auseinandersetzung mit Arbeitsbedingungen und sozialem Elend geprägt wurde. Mittlerweile ist Kinderarbeit verboten, es gibt Arbeitsschutzgesetze.

Wir müssen nicht immer das Gleiche schreiben. Wir müssen nicht immer das Gleiche lesen. Wir können den vorauseilenden Gehorsam in unseren Köpfen abschalten, der uns mit vielen Datensätzen zu immer Gleichem bewegen will. Hans Peter Roentgen

Eines können wir sehr wohl tun. Nämlich nicht dem Diktat: „Das wollen Leser lesen“ zu folgen. Egal, ob es uns Verlagslektoren vorbeten oder Amazon. Und egal, mit wievielen Datensätzen es untermauert wird. Wir müssen nicht immer das Gleiche schreiben. Wir müssen nicht immer das Gleiche lesen. Wir können den vorauseilenden Gehorsam in unseren Köpfen abschalten, der uns mit vielen Datensätzen zu immer Gleichem bewegen will.

Keine noch so eloquente Rede von neoliberalen Marketing-Experten kann uns daran hindern. Wolf Biermann sang über die DDR, die auch mit endlos vielen Datensätzen ihre Unzerstörbarkeit wahren wollte:
Das Schlimmste waren dabei wir selber All unsre Feigheit und Kriecherei […] Mensch, wir sind stärker als Ratten und Drachen –und hattens vergessen und immer gewußt …

PS: Ich bin nicht so prominent wie Mark Zuckerberg. Aber ein Buch kann ich Ihnen nennen, von dem viele aufgrund ihrer Analysen des Leseverhaltens gesagt haben, sowas wolle keiner lesen und das jahrzehntelang deshalb nicht veröffentlicht wurde: „Die Bauchtänzerin“. Das wäre doch mal ein guter Anfang, die Voraussagen der Datenkraken ins Leere laufen zu lassen, finden Sie nicht?

Hans Peter Roentgen

 
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Flatrate – Fluch oder Segen?

Flatrate fasziniert. Einen festen Monatsbeitrag zahlen und dafür so viel lesen, wie man möchte. Und aus den Erlösen werden die Autorinnen und Autoren honoriert. Gute Idee?

Gute Idee? Sicher dann, wenn die Flatrate-Unternehmen den Autorinnen und Autoren angemessene Honorare zahlen würden. Doch dem ist leider nicht so, die meisten Flatratemodelle scheinen vor allem ein Ziel zu haben: die Honorare zu drücken.

Die Kunden einer Flatrate haben so viel Zugriff auf die Bücher, als hätten sie diese gekauft. Die maximale Ausleihzeit beträgt zwar zwei Wochen, aber man darf immer noch mal ausleihen. Wenn man möchte. Die meisten Romane werden sowieso nur einmal gelesen. Bei Sachbüchern ist das etwas anders.

Das Honorar ist bescheiden: 3,5 % vom VK pro Leihvorgang. Und davon höchstens ein Viertel für die Autorinnen und Autoren

Das Honorar ist bei den meisten Flatrate-Betreibern bescheiden. Bei Skoobe ist der Richtwert 3,5 % vom eigentlichen Verkaufspreis. Dieser geht pro Leihvorgang an die Verlage, die entsprechend der Vertragsbedingunen über die E-Book-Honorare die Autorinnen und Autoren auszahlen – auch wenn gar nichts über eine Flatrate vereinbart wurde. Bei E-Books einer Taschenbuchausgabe sind das etwa 16 bis 25 Cent; bei 99-Cent- oder 1,99-Euro-E-Books liegen die Beträge zwischen 3 und 7 Cent.

Doch nicht nur das beschämend niedrige Honorar schadet Autorinnen und Autoren: Obendrein schließen viele Verlage Verträge mit den Verleihern ab, ohne die Autorinnen und Autoren auch nur vorab zu benachrichtigen oder eine entsprechende Vertragsergänzung aufzusetzen.

Die meisten Flatratemodelle scheinen vor allem ein Ziel zu haben: die Honorare zu drücken. Hans Peter Roentgen

So hat ein Autor nicht nur festgestellt, dass er bei Skoobe gelistet war, ohne dass er je informiert worden wäre – zusätzlich bekam er nur 25 Cent pro Ausleihe. Das Honorar bei Kauf eines seiner E-Books hätte bei 1,50 Euro gelegen, rund 25 % vom Nettoverlagserlös wie bei den meisten Verlagsautoren und -autorinnen, deren Werke parallel als E-Book erscheinen.

Mitunter verleihen Verlage, was sie gar nicht verleihen dürfen

So ging es auch anderen Autoren und Autorinnen, die sich durch Zufall bei Skoobe & Co. wiederfanden – und sich fragten: Muss ich dem kommerziellen Verleih nicht eigentlich zustimmen? Und: Ist diese kommerzielle Ausleihe nicht gleichzeitig ein Unterlaufen der Buchpreisbindung, da es sich nicht um eine öffentliche Bibliothek handelt?

Darüber streiten sich die Juristen noch. In der Zwischenzeit verdienen vor allem die Distributoren wie Skoobe, Readfy oder Amazon am all-you-can-read-Modell. Auch Apple steht angeblich in den Startlöchern.

Die Erfahrungen bei den Selfpublishern zeigen, dass die Umsätze durch die Flatrate zwischen 30 bis 75 % eingebrochen sind und die Flatrate die Verkaufszahlen drückt. Logisch: Wer ein Buch leihweise gelesen hat, kauft es nicht. Amazon musste den Bestsellern unter den Selfpublishern kräftige Zuschläge zahlen, denn etliche waren abgesprungen oder drohten mit Ausstieg.



Verlagsautoren haben im Flatrate-Geschäft nur Verluste

Verlagsautoren habe einen weiteren Nachteil, wenn es um Flatrates wie Skoobe, Kindle Unlimited oder Readfy geht: Sie werden von ihren Verlagen selten informiert und tauschen sich nur vereinzelt untereinander aus. Eine Ausnahme ist die DeLiA, der Verband der Liebesromanautoren, denen wir das Basis-Zahlenmaterial verdanken. Doch umfangreiche und offizielle Vergleichszahlen, wie sie die Selfpublisher erarbeitet haben, gibt es im Verlagsbereich noch nicht – Skoobes und Amazons Abrechnungen sind intransparent, und die dies gilt erst recht für die Abrechnungen der meisten Verlage an die Autorinnen und Autoren.

Amazon hat sich außerdem eine besonders fragwürdige Regelung für Selfpublisher ausgedacht: Wer bei Amazons Flatrate veröffentlichen will, muss Amazon das exklusive (!) Vertriebsrecht übergeben.

Eindeutig eine Regelung, die Konkurrenz wie buecher.de, bol.de, thalia.de oder andere Anbieter ausschließen soll. Und die nur möglich ist, weil Amazon bei E-Books einen Marktanteil von 50 bis 60 % besitzt. Höchst zweifelhaft, ob so etwas einer gerichtlichen Nachprüfung standhalten würde. Wir haben zwar Vertragsfreiheit, aber Preisabsprachen, Ausschluss von Konkurrenz und ähnliches wird von Gerichten nicht gerne gesehen. In einem ähnlichen Fall hat Microsoft in den USA die Kartellbehörden auf den Plan gerufen und musste die Regelung canceln. Auch Amazon hat bereits eine Klage verloren, als es seinen Shop-Betreibern den Preis vorschreiben wollte. Doch Amazon verlässt sich wohl darauf, dass keiner eine Klage wagen wird.

Einige große Verlage haben ihre Autorinnen und Autoren ungefragt in die Flatrate bei der Holztbrinck-Gruppe Skoobe eingestellt und weigern sich mitunter, die Honorare dafür einzeln ausweisen. Da findet sich dann auf der Abrechnung nur ein Posten wie »E-Books und andere digitale Veröffentlichungsformen«. Transparente Abrechnung sieht anders aus.

Verlagsautoren haben im Flatrate-Geschäft nur Verluste. Hans Peter Roentgen


Eine Nachkontrolle der Honorarabrechnung ist so unmöglich. Ist das vielleicht auch so gewollt? Im privaten Gespräch, zum Beispiel auf der Buchmesse, erlebte ich immer wieder die Wut der Autorinnen und Autoren, aber in der Öffentlichkeit schweigen sie und stützen damit diese fragwürdige Politik. Und die Verlage vergessen, dass sie damit immer mehr ihrer Autorinnen und Autoren ins Selfpublishing drängen. Was nützt ein Verlag, der nicht einmal eine durchschaubare Abrechnung erstellen kann und deutlich zeigt, dass seine Autorinnen und Autoren für ihn nur Manövriermasse sind?



Vorsicht bei Buy-out-Verträgen

Eine ganz eigene Lösung hat Bastei Lübbe geschaffen: Sie bauen eine Flatrate namens Beam aus, arbeiten aber auch als einziger größerer Verlag mit Amazons Flatrate zusammen. Etliche Verlage der Bastei-Gruppe schließen mit den Autorinnen und Autoren sogenannte Buy-Out-Verträge ab. Etwa 1.000 bis 1.500 Euro erhalten die Autorinnen und Autoren pauschal, eine weitere Honorierung, eine Beteiligung an Verkäufen oder anderen Vervielfältigungen ist per Vertrag ausgeschlossen. In vielen Paragraphen wird vor allem eins zementiert: Dass der Verlag alle Nutzungsrechte, exklusiv und unbefristet, einholt und der Autor bis 70 Jahre nach Tod keine mehr vergeben kann. Selbstverständlich gibt es auch kein Honorar für die Bastei-Flatrate Beam. Ob diese Buy-Out-Verträge juristisch hieb- und stichfest sind, darf man bezweifeln – aber welcher Autor legt sich schon mit einer großen Verlagsgruppe an?

In den USA existieren noch weitere Flatrates wie z. B. Oyster, die bisher in Europa nicht in Erscheinung getreten sind, von denen man aber munkelt, sie würden demnächst den Sprung über den Atlantik wagen. Auch PaperC und Readfy versuchen, sich mit Freemium-Angeboten und werbefinanzierten Billigmodellen zu etablieren. Auf Fragen nach Autorenbeteiligung verweigern sie die Auskunft.

Skoobe hat sich seine Werbeaussagen, so mutet es an, bei den Piraten geklaut: Das Honorar ist zwar gering, aber es ist eine großartige Werbung für die Autorinnen und Autoren!, so die Argumentation der Skoobe-Vertreterin auf der Leipziger Buchmesse 2015. Ähnlich argumentieren auch die Seiten, die illegale digitale Kopien von Büchern vertreiben, damit viel Geld verdienen und den Autorinnen und Autoren nichts zahlen. Kein Zweifel, es gibt einige Fälle, da hat das funktioniert. Aber zu 99 % ist das Augenwischerei.

Die Flatratekunden laden sich auch Bücher herunter, die sie sonst nicht kaufen würden, lautete das nächste Argument. Da es nichts koste, wäre die Hemmschwelle geringer, sich auch unbekannte Bücher anzusehen. Hallo Skoobe, schon mal davon gehört, dass man überall kostenlose Leseproben auf den Reader laden kann, ganz ohne Risiko? Das ist nun wahrlich nichts, das spezifisch für Flatrates und deren Kunden ist.

Die Umsätze der Selfpublisher in der Flatrate sprechen dann auch eine andere Sprache.

Kein Wunder, dass Verlage und Flatrate-Anbieter alles rund um die Pauschalabos möglichst geheimhalten wollen. Zahlen über die Umsatzentwicklungen bei Verlagsautoren gibt es – anders als bei Selfpublishern – nicht.



Datenschutz ist kein Geschäftsmodell

Die Abrechnungsänderungen der Flatrate bei Amazon – Abrechnung pro gelesener Seite – erinnert außerdem alle daran, dass Amazon genau speichert, wer welches Buch wie lange liest und wo das Buch nicht weitergelesen wird. Im Prinzip ist das keine neue Erkenntnis, jeder E-Book-Reader speichert die gelesenen Seiten und bis zu welcher Stelle zuletzt gelesen wurde. Das ist natürlich eine riesige Datensammlung, die genutzt werden kann. Einmal, um Bücher direkt auf den Lesergeschmack zuzuschneiden. Bestseller am Konstruktionstisch zu entwerfen, war schon immer der Traum vieler Verlagskaufleute. Doch jetzt gibt es erheblich mehr Daten, mit denen man diesen Wunsch verfolgen kann.

Werden den Autorinnen und Autoren demnächst vorgeschrieben, welche Szenen in ihre Bücher gehören (die vielgelesenen) und welche nicht? Nach dem Motto: Waldszenen hat kaum jemand zu Ende gelesen, also keine Waldszenen mehr? Und in allen erfolgreichen Krimis hat der Kommissar eine Katze, also bitte, lieber Autor, bauen Sie eine Katze ein, sonst können wir Ihr Buch nicht verlegen?

Denkbar wäre es.

Und nicht zu vergessen: Der Datenschutz bleibt bei dieser riesigen Datensammlung außer Betracht. Solange es keine verbindlichen gesetzlichen Grundlagen gibt, die zumindest EU-weit Gültigkeit haben und deren Einhaltung auch kontrolliert wird, solange wird ungeniert gesammelt. Aber was geht es die NSA, Amazon oder den Börsenverein an, was ich wann wie lange lese?

Erfreulich, dass die Hamburger Literaturagentur Keil & Keil mit dem Rechtsanwaltsbüro Graf von Westphalen und Nina George ein Gutachten erstellt hat, das eindeutig feststellt, dass Verlage ohne Zustimmung der Autorinnen und Autoren die Bücher nicht in die Flatrate stellen dürfen. Und Skoobe und Amazon nehmen die Bücher auch wieder heraus, wenn man mit Hinweis auf den Verlagsvertrag der Einstellung widerspricht. Denn: Eine Klage wegen Urheberrechtsverletzung (und Wahrnehmung nicht eingeholter Nutzungsrechte) möchten sie nicht riskieren.

SO überprüfen Autorinnen und Autoren, ob ihr Vertrag Ausleihen bei Flatrates erlaubt – oder nicht:

Nachfolgend die Guideline der Agentur Keil + Keil und der Rechtsanwälte Graf von Westphalen, Dr. Walter Scheuerl und Dr. Christian Triebe, Hamburg.

Sie regen Agenten und Autorinnen an, ihre Verträge anhand dieser Hilfestellung zu prüfen. Sie gehen davon aus, dass die Verwendung von E-Book-Rechten für Leih- oder Pauschalmodelle bei den meisten Autorenverträgen nicht enthalten ist. Im Einzelnen wird dort aufgeführt:

• Nach allgemeinem Urheberrecht ist die Nutzung von Sprachwerken in elektronischer Form nicht Gegenstand des Verlagsrechts, sondern bedarf als Nebenrecht einer gesonderten ausdrücklichen Aufführung im Nebenrechtskatalog im Verlagsvertrag.

• Ob die Einräumung von Nutzungsrechten für E-Book-Flatrates vom Verlag an Drittanbieter wie Amazon Kindle Unlimited oder Skoobe durch die in Verlagsverträgen bei den Nebenrechten für diesen Rechtebereich aktuelle gängige Bezeichnung »Elektronische Rechte« erfasst ist, ist rechtlich nicht ganz eindeutig. Insofern kann man sich aber auch auf den Standpunkt stellen, dass sie nicht erfasst sind, sondern explizit hätten aufgeführt werden müssen.

• Ganz auf der sicheren Seite ist man, wenn man einen Verlagsvertrag hat, der die Vergabe jeglicher Nebenrechte durch den Verlag an Dritte von der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Autors abhängig macht.

Fazit: Die Verlage können solche Vereinbarungen mit Anbietern von E-Book-Flatrates also ohne eine entsprechende Regelung im Verlagsvertrag nicht einfach abschließen. Man muss auch nicht von selbst aktiv widersprechen, wenn man sein Buch zufällig im Internet bei einem solchen Anbieter gefunden hat, um eine rechtfertigende Duldungswirkung zu verhindern. In jedem Fall sollte aber kurzfristig qualifizierter Rechtsrat eingeholt werden, um Rechtsschutzmöglichkeiten prüfen zu lassen.



Ich möchte all jenen danken, die mir Infos und Zahlen zur Verfügung gestellt haben, insbesondere auch Nina George, die die rechtlichen Aussagen angestoßen hat.

Foto H.P. Roentgen © Frank Gerigk