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Kreativwirtschaft ist Kultur

Was ist das eigentlich – Kultur?

Heidi Klums Mädchenparade. Carmina Burana, der Chor: »O Fortuna«. Sonntags-Tatort. Rebecca Gablés Historienabenteuer »Die Siedler« samt rettender Brettspiele-Ableger für verregnete Wochenenden. Das Streiflicht der SZ, links oben. Trachtenumzüge. Die Facebook-Posts von Stefanie Sargnagel. Lukas Podolskis Instagram-Selfie mit Angela Merkel. Rilke-Poetry-Slams. Mahler, Corbusier, Frida Kahlo, Pink Floyd, Beatles, Grisham, Sagan, Grunge, Punk, WhatsApp-GIFs, Twitter-Covfefes.

Einerseits ist Kultur die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen, die ein Volk und oder eine Epoche charakterisieren, etwa Barock, Expressionismus, Romantik … Andererseits ist Kultur weit mehr als das Sichtbare – und mehr als die Umsatz- und Beschäftigungszahlen, Haushaltsetats für Kulturförderungen, mehr als die Betrachtung von Mikromilieus und den prekären Verhältnissen professioneller Künstlerinnen.

Kultur, nein, das ist nichts Sichtbares. Kultur hat mit Technik oder Wissensmenge, mit Vertrieb oder Medium, mit ästhetischer Relevanz oder Kommerz nichts zu tun. Dort, wo sie wirkt, ist Kultur ein innerer Zustand. Sie ist, wenn Sie es als Softwareprogramm sehen, ein permanentes emotionales Update, das Identitäten prägt, Körper verändert, soziale Gemeinschaften strukturiert, Erinnerungen schafft, Mentalitäten konstruiert, das Fremde und das Eigene voneinander trennt, das Fremde und das Eigene verbindet, es ist das, was Ihre persönliche Welt gestaltet und die Welt, in der Sie sich bewegen. Kultur ist immer persönlich. Sowohl im Schaffen als auch in der Rezeption. Wer diese emotionale Komponente bei politischen Strategien übergeht, sollte besser keine für die Kultur- und Kreativwirtschaft entwickeln.

Wenn Sie die aufgeführten kulturellen Meme mit Muße gelesen haben, wird in Ihnen ein soziokultureller, psychologischer, intimer Prozess stattgefunden haben. Sie werden sich erinnert haben, begleitet von mehr oder weniger intensiven Gemütsregungen. Gänsehaut. Jugendzeit. Oder Amüsement und Dankbarkeit, für jene Satiriker dieser Welt, die dem derzeitigen amerikanischen Präsidenten und seinen Twitter-Auswürfen online auf künstlerische Weise Paroli bieten (auch das ist Kultur) – und uns, den Ohnmächtigen, Erleichterung bieten.

Für die Epoche, in der wir, die Gegenwärtigen, leben, wird eines Tages ein Begriff für die digitale Kultur-Evolution geschaffen werden – und es ist an uns, mit politischen Entscheidungen zu gestalten, wie die Definition ausfallen wird. Als das Zeitalter, in dem die digitale Technisierung das intime kulturelle Erleben reduziert hat, weil der »transfer of value«, der den Intermediären mehr Bedeutung und Umsatz verschafft als jenen, die sie schaffen, unreguliert voranschreitet. Oder als die Epoche, in der Kultur verstanden und gefördert wurde als das, was sie ist: als emotionale Existenzgrundlage.